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62 Fußbekleidungsmaterial in tragehygienischer Sicht aus dem Jahre 1966
Dr.-Ing. habil. H. Herfeld Direktor der Westdeutschen Gerberschule Reutlingen
Ich freue mich, dass die Fußbekleidung, über die wir uns bereits auf der Fachsitzung in Mannheim am 12. März 1965 unterhalten haben, nochmals auf die Tagesordnung dieser Tagung gesetzt wurde. Das der seinerzeitigen Fachsitzung gestellte Thema wurde, soweit es den Schuh betrifft, damals insofern nicht ausdiskutiert, als die Vortragenden und Diskussionsredner sich bei der Behandlung des fußgerechten Schuhwerks ausschließlich mit den Einflüssen der Schuhform auf die Fußgesundheit befassten, die Materialfrage aber völlig ausklammerten und ihre Bedeutung in tragehygienischer Sicht auf einen Hinweis von mir weitgehend negiert wurde. Es wurde vielmehr die Auffassung vertreten, dass Materialfragen für die Tragehygiene keine Rolle spielen und daß es im wesentlichen nur auf die sachgemäße Schuhform ankäme. Ich habe inzwischen in dieser Frage einen Schriftwechsel mit Prof. Thomsen gehabt und ihn anhand von Anschauungsmaterial davon überzeugen können, dass für die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen dem Fuß und seiner Bekleidung neben der fußgerechten Schuhform, deren Bedeutung ich nie bestritten habe, auch der Materialbeschaffenheit eine bedeutsame Rolle zukomme.
Eine Diskussion dieser Fragen scheint mir auch aus der Sicht des Bekleidungsmediziners schon deswegen von besonderer Bedeutung zu sein, weil im Weltmaßstab der Lederbedarf aus vielerlei Gründen stärker ansteigt als der Anfall an tierischen Häuten für die Lederproduktion, der ja von einer ganz anderen Größe, nämlich vom Fleischkonsum, abhängig ist, so dass es neben Leder als dem klassischen, seit Jahrhunderten bewährten Bekleidungsmaterial in Zukunft auch Austauschstoffe wird geben müssen. So haben wir seit langem neben der Ledersohle die Gummisohle, anstelle von Lederbrandsohlen werden sog. Lederfaserwerkstoffe, die aus Lederabfällen mit geeigneten Bindemitteln hergestellt werden, aber auch vliesartige Materialien eingesetzt, und Sie haben sicher alle davon gehört, dass auf dem Oberledergebiet neuerdings der amerikanische Dupont-Konzern ein neuartiges Material entwickelt hat, das unter der Bezeichnung „Corfam„ auf den Markt gebracht wird. Je mehr solche Austauschstoffe dem klassischen Bekleidungsmaterial Leder seinen Platz streitig zu machen versuchen, um so mehr scheint mir ein klarer Vergleich der Eigenschaften wichtig zu sein, um Austauschstoffe nur für solche Zwecke anstelle von Leder einzusetzen, wo sie grundsätzlich nicht schaden können, aber nicht auf dem so heiklen Gebiet des Bekleidungssektors, solange nicht die Eigenschaften den dort aus tragehygienischer Sicht zu stellenden Anforderungen gerecht werden.
Unter diesem Gesichtspunkt haben wir seit Jahren eingehende vergleichende Untersuchungen mit den verschiedensten Materialien - Leder und Kunstleder - für Sohlen, für Brandsohlen und für den Schuhoberbau durchgeführt, die sich nicht nur auf eine eingehende laboratoriumsmäßige Ermittlung von Materialkonstanten beschränkten, sondern zu deren Auswertung auch praktische Trageversuche auf breiter Basis durchgeführt wurden, wobei Leder und Kunstleder stets am gleichen Schuhpaar im Rechts-Links-Versuch verglichen wurden, um jedem Träger in jeder Phase des Versuchs einen direkten Vergleich zu ermöglichen. Diese Untersuchungen haben eine Reihe grundsätzlicher Vorteile des Leders in struktureller und tragehygienischer Hinsicht aufgezeigt und darüber hinaus manche unbewiesenen Auffassungen, Halbwahrheiten usw. durch exakte Zahlen auf ihre Richtigkeit überprüfen und in ihrer Bedeutung für die Fußgesundheit klarlegen können. Ich will in meinem heutigen Referat aus diesem umfangreichen Versuchsmaterial nur 4 Punkte herausstellen, die mir für die Bewertung eines Fußbekleidungsmaterials in tragehygienischer Hinsicht besonders wichtig erscheinen.
1. Forderung:
Das am Schuh verarbeitete Material muss sich der individuellen Form des Fußes anpassen können.
Diese Forderung kann der heutige Schuh von Haus aus nicht voll erfüllen, seit wir nicht mehr den Maßschuh tragen, denn er wird ja in der Schuhfabrik über einen Normalleisten gearbeitet, der nicht auf die individuellen Sonderheiten jedes einzelnen Fußes Rücksicht nehmen kann. Hinzu kommt, dass bei uns im Hinblick auf den geringeren Umfang der meisten Produktionsserien das Mehrweitensystem nicht so weit ausgebaut ist wie etwa in England und in den USA, wo im Schuhangebot neben der Fußlänge auch die verschiedenen Fußbreiten wesentlich stärker berücksichtigt werden. So ist es verständlich, dass der Schuh, den wir im Laden kaufen, in den ersten Tagen seiner Benutzung an dieser oder jener Stelle des Fußes etwas drückt. Vom verarbeiteten Material muss aber gefordert werden, dass es eine gewisse Dehnbarkeit besitzt, um sich der individuellen Fußform anzupassen. Das gilt sowohl für die Brandsohle, wo sich in verhältnismäßig kurzer Zeit ein „natürliches Fußbett“ ausbilden sollte, das dem Abdruck des Fußes auf weichem Naturboden entspricht, wie insbesondere auch für das Oberleder, das sich in kürzester Zeit der individuellen Fußform anpassen muss, so dass es die Bewegung des Fußes beim Gehvorgang nicht stört, den Fuß nicht zusammendrückt und lokale Abschnürungen die Hautdurchblutung nicht unterbinden.
Entscheidend für die Beurteilung, inwieweit ein Material dieser Forderung gerecht wird, ist die bleibende Dehnung, also die Feststellung, inwieweit ein Material nach Zugbeanspruchung in die ursprüngliche Form zurückkehrt oder die aufgetretene Dehnung beibehält. Eine gewisse bleibende Dehnung ist bei Materialien für Bekleidungszwecke unbedingt erforderlich, insbesondere wenn sie nur einmalig auftritt und bei Dauerbeanspruchung nicht zunimmt. Dadurch wird das Bekleidungsstück in die Lage versetzt, sich der individuellen Fuß- oder Körperform anzupassen und das Wohlbefinden des Trägers zu steigern. Bei Leder ist dieses Verhalten natur- und strukturbedingt gegeben, denn die tierische Haut besteht aus einem komplizierten Geflecht kollagener Fasern, die kreuz- und quer ohne erkennbaren Anfang und Ende miteinander verflochten sind. Diese Verflechtung kann bei der Lederherstellung mehr oder weniger aufgelockert werden, und entsprechend kann dem Fertigleder jeder für den Verwendungszweck gewünschte Grad an bleibender Verformung gegeben werden, doch kommt dieser auf einer netzartigen Verformung beruhende Teil der Gesamtdehnung nach kurzer Tragedauer zu einem Endzustand, und weitere Dehnungsbeanspruchungen sind dann elastisch und somit reversibel. Daher ist beim Lederschuh nach wenigen Tagen die Anpassung des Oberleders und der Brandsohle an die individuelle Fußform vollzogen. Ist dagegen die bleibende Dehnung zu hoch, wie etwa bei Gummisohlen, wird schon bei geringer Belastung eine hohe plastische Verformung erhalten, die auch bei wiederholter Beanspruchung fortschreitet. Damit ist das Formhaltevermögen schlecht, und es würden sich am Schuh starke Verformungen der Gummisohlen zeigen, wenn dieser Tendenz nicht durch Einbau von Lederbrand- und -zwischensohlen entgegengewirkt würde. Ist dagegen die bleibende Dehnung zu niedrig, wie dies bei vielen Brandsohlwerkstoffen der Fall ist, so wird die Anpassung an die Leistenform und die Ausbildung eines fußgerechten Fußbettes erschwert. Das gilt insbesondere für die Gruppe der vliesartigen Werkstoffe. Wenn dann noch hinzu kommt, dass die innere Strukturfestigkeit des Materials gering ist, wie Ihnen die Werte für Zugfestigkeit, Stichausreißfestigkeit und Weiterreißfestigkeit zeigen (und alle Austauschstoffe stehen in ihrer Strukturfestigkeit gegenüber dem Leder wesentlich zurück), so ist verständlich, dass unter dem Druck des Körpers bei gleichzeitiger Durchfeuchtung des Materials unter dem Einfluss des Fußschweißes und der ständigen Reibwirkung des Strumpfs nach verhältnismäßig kurzer Tragedauer ein mehr oder weniger weitgehendes Aufribbeln bis zur völligen Gefügezerstörung der Brandsohle eintritt. Ich zeige Ihnen hier den Unterbau von 2 Schuhpaaren, bei denen das intakte Leder und die zerstörte Vliesbrandsohle nach gleicher Tragedauer zu erkennen sind. Dabei hatten die Träger dieser Schuhe keinen besonders ausgeprägten Schweißfuß, doch sehen Sie, wie stark die Gefügezerstörungen sind, durch die die Schuhe nach einer relativ kurzen Tragedauer völlig unbrauchbar geworden sind.
Auch bei den Oberbaumaterialien liegen die Werte der Restdehnung bei Oberleder nach mehrfacher flächenmäßiger Be- und Entlastung wesentlich günstiger als bei dem bereits erwähnten Corfam. Diese Unterschiede machen die wiederholt in der Fachliteratur angeführte Feststellung verständlich, dass sich Corfamschuhe der Fußform nicht genügend anpassen, was auch unsere Trageversuche bestätigten. Wenn der Corfamschuh einmal drückte, so drückte er auch nach langer Tragedauer, weil sich das Oberbaumaterial der individuellen Fußform nicht ausreichend anpassen konnte, während sich das Oberleder beim Lederschuh nach wenigen Tagen der Fußform angepasst hatte. Die in den Werbeschriften von Dupont aufgestellte Behauptung, dass beim Corfamschuh das Oberbaumaterial längere Zeit ein schönes Aussehen und eine gute Formhaltbarkeit bewahre, ist zwar richtig, aber das wird mit der größeren Gefahr des Drückens der Schuhe und der Unterbindung einer genügenden Hautdurchblutung erkauft. So zeigte sich bei vielen Trägern, dass das Oberleder zahlreiche kleine Falten bildete, die die Abrollbewegung beim Gehen nicht hinderten, Corfam dagegen wenige, aber relativ tiefe Falten unmittelbar im Zehengelenk, die das Drücken der Schuhe noch verstärkten und schmerzhafte lokale Abschnürungen zur Folge hatten. Dass sich bei drei oder vier Trägern gleichzeitig stets an dem Fuß, der den Corfamschuh trug, Hühneraugen bildeten, nicht dagegen an dem Gegenfuß mit dem Lederschuh, sei lediglich der Vollständigkeit halber hier erwähnt.
2. Forderung:
Das am Schuh verarbeitete Material muss sich dem Tagesrhythmus der Änderung der Fußform anpassen
Man ist nämlich oft zu glauben geneigt, dass der Nachteil des ständigen Drückens beim Corfamschuh sich beheben lasse, wenn man den Schuh etwas größer kaufe. So einfach liegen die Verhältnisse aber nicht, da auch die Fußform nicht konstant ist, sondern im Laufe des Tages unter dem Einfluss des Schweißes und der Ermüdung eine Volumenzunahme erfährt, die in der Ruhe der Nacht wieder zurückgeht. Leder hat nun die Eigenschaft, unter Feuchtigkeitsaufnahme eine Flächenzunahme zu erfahren, die beim Auftrocknen wieder abklingt, und es vermag sich damit unter dem Einfluss der Fußausdünstung dem natürlichen Rhythmus der Volumenänderung des Fußes anzupassen. Kunststoffe haben dagegen diese Eigenschaft nicht oder nur in geringem Umfang. Es ist also nicht damit getan, den nächsten Corfamschuh größer zu kaufen, denn ist er am Morgen passend, dann drückt er bestimmt am Abend, passt er aber am Abend, dann wird er am Morgen zu groß sein. Auch ein zu großer Schuh wird aber als unangenehm empfunden, da er dem Fuß keinen genügenden Halt gibt. Diese Erscheinung hat sich nicht bei allen Trägern in gleichem Umfang bemerkbar gemacht, eine Reihe von ihnen hat aber über diese Erscheinung, die nach den vorliegenden Zahlen verständlich ist, sehr geklagt. Hier fehlt also den Kunststoffen noch eine weitere wichtige Eigenschaft, nämlich die, sich dem Tagesrhythmus der Änderung des Fußvolumens anzupassen, die uns für den Tragekomfort von besonderer Bedeutung zu sein scheint.
3. Forderung:
Das am Schuh verarbeitete Material muß eine genügende Porosität haben
Der Fuß scheidet aus Gründen der Thermoregulierung mehr oder weniger große Mengen an Feuchtigkeit (Fußschweiß) ab, wobei diese Ausdünstungen beim gesunden Fuß vorwiegend gasförmig erfolgen, und erst die Behinderung der gasförmigen Ausdünstung durch undurchlässige Hüllen dazu führt, dass sich der Schweiß kondensiert. Beim richtigen Schweißfuß kommt in stärkerem Maße noch eine direkte Abscheidung von Flüssigkeit hinzu. Die Kleidung, in vorliegendem Falle also der Schuh, hat aber die Aufgabe, den menschlichen Körper trocken zu halten, also einen genügenden Schweißtransport nach außen zu ermöglichen. Erfolgt dieser Abtransport nicht, so schlägt sich die Feuchtigkeit auf den Fuß nieder, wodurch einmal ein ausgeprägtes Gefühl des Unbehagens verursacht und zum anderen auf der Oberfläche zugleich ein Schweißstau bewirkt und damit die weitere Schweißsekretion sowie der nötige Abtransport der Körperwärme gehemmt wird. Außerdem tritt unter dem Einfluss der Feuchtigkeit und einer gleichzeitig erfolgenden pH-Verschiebung ins alkalische Gebiet eine Quellung und Erweichung der Hornschicht der Epidermis ein, wodurch die Gefahr eines Wundscheuerns zwischen den Zehen gesteigert wird. Schweißfußbildung, Fußpilzvermehrung und Kreislaufbelastungen sind die sekundären Folgen einer solchen Anreicherung von Schweiß im Schuh. Es ist zwar mit Recht darauf hingewiesen worden, dass die Infektionsquelle für das Auftreten von Fußpilzerkrankungen nicht im Schuh zu suchen sei, aber wenn der Fußschweiß nicht genügend entfernt wird, bildet sich um den Fuß herum eine feuchtwarme Kammer, in der die Pilze unter dem Einfluss von Feuchtigkeit, Wärme und alkalischem pH-Bereich besonders gut gedeihen und sich vermehren können. Daher muss von allen Materialien für Bekleidungszwecke gefordert werden, dass sie eine genügende Porosität besitzen, wobei es nicht so sehr auf eine Luftdurchlässigkeit ankommt, weil Luft im Schuh ja praktisch kaum vorhanden ist, sondern viel mehr in erster Linie auf eine genügend hohe Wasserdampfdurchlässigkeit.
Wie ist es nun mit den verschiedenen Materialien am Schuh in dieser Richtung bestellt? Lederbrandsohlleder, gleichgültig ob es sich um Narben- oder Spaltleder handelt, haben nach unseren Untersuchungen erheblich höhere Werte der Wasserdampfdurchlässigkeit als die entsprechenden Austauschstoffe, so dass ihnen hier ohne Zweifel ein Vorzug einzuräumen ist, wenn nicht, was leider allzu oft der Fall ist, durch Anbringen einer unzweckmäßigen, völlig unporösen Deckbrandsohle dieses gute Saugvermögen wieder zunichte gemacht wird. Allerdings kann diese Wasserdampfdurchlässigkeit bei Brandsohlen nur dann zum Abtransport der feuchten Ausdünstungen beitragen, wenn auch die darunter befindliche Laufsohle den Wasserdampf übernehmen und nach außen transportieren kann. Das ist bei Ledersohlen der Fall, Gummisohlen sind dagegen völlig unporös, und dann nützt auch die gute Wasserdampfdurchlässigkeit der Brandsohle nicht viel. Gummisohlen fördern also die Ansammlung von Feuchtigkeit im Schuh. Diese Unterschiede wurden auch bei unseren Trageversuchen klar bestätigt, und es zeigte sich, dass die Behauptung, die Porosität der Sohle spiele für die Tragehygiene keine Rolle, falsch ist, und zwar besonders dann, wenn man auch für Brandsohlen statt Leder Kunststoffe einsetzt, bei denen auch eine weitere Eigenschaft, auf die ich unten noch zu sprechen komme, das Wasserdampfspeicherungsvermögen, ungenügend ist. Es wird zwar häufig behauptet, dass diese Auffassung nicht richtig sei, weil bei den heutigen Herstellungsverfahren der meisten Schuhtypen die von Haus aus gute Atmungsfähigkeit der Lederlaufsohle durch das Bestreichen mit Sohlenklebstoffen und das Arbeiten mit Ausballmassen völlig unterbunden würde. Das ist indessen nicht oder nur bedingt richtig. Wir haben zahlreiche Aufstriche von Ausballmassen der verschiedensten Zusammensetzungen untersucht und dabei in allen Fällen gefunden, dass sie eine völlig ausreichende Wasserdampfdurchlässigkeit besitzen, also keineswegs unporös sind. Klebschichten können natürlich den Wasserdampftransport nach außen stark unterbinden, wenn die gesamte Sohlenfläche mit Klebstoff eingestrichen wird. Wenn man aber den Klebstoff nur auf die Randpartien streicht, die allein für die Festigkeit der Verklebung maßgebend sind, dann bleibt im inneren Teil der Sohle die gute Wasserdampfdurchlässigkeit erhalten, und tatsächlich wird diese Arbeitsweise von einer ganzen Reihe von Firmen, die Gesundheitsschuhe herstellen, durchgeführt.
Nun zu den Materialien für den Schuhoberbau. Dass Oberleder atmet und eine gute Wasserdampfdurchlässigkeit besitzt, braucht nicht besonders erwähnt zu werden. Dass die älteren unporösen Oberbaumaterialien auf Gewebe- und Gewirkebasis diesen Anforderungen nicht entsprechen, ist Ihnen ebenfalls bekannt. Die Kunststoffindustrie hat sich zwar seit langem bemüht, ihre Materialien porös zu machen, doch waren die Poren dann meist zu groß und ließen auch das Wasser rasch eindringen. Das Charakteristikum sachgemäß hergestellten Oberleders besteht darin, dass es eine dem Verwendungszweck angepasste mittlere Mikroporosität besitzt, bei der die Poren gerade so groß sind, um den Wasserdampf nach außen durchtreten zu lassen, dem Wassertropfen aber infolge seiner größeren Oberflächenspannung den Durchtritt nach innen zu verwehren. Dieses besondere Verhalten kann durch eine Hydrophobierung noch verstärkt werden, und wir haben gefunden, dass bei richtiger Hydrophobierung des Leders zwar die Wasserdichtigkeit noch stark verbessert, Aufnahme und Durchlässigkeit für Wasserdampf dagegen kaum beeinflußt werden. Im Falle des Corfam ist es nun zweifellos gelungen, eine dem Leder gleichwertige Mikroporosität zu entwickeln, so dass es im Gegensatz zu den Oberlederaustauschstoffen älterer Art bei einwandfreier Wasserdichtigkeit doch eine Wasserdampfdurchlässigkeit besitzt, die in der Größenordnung des Oberleders liegt. Es war also zu erwarten, dass auch bei den Trageversuchen bei Leder und Corfam gleich trockene Füße resultieren würden. Das war aber nicht der Fall, die Mehrzahl der Träger stellte vielmehr beim Corfamschuh eindeutig feuchte, beim Lederschuh trockene Füße fest. Worauf ist das zurückzuführen?
Damit komme ich zur vierten, für ein Schuhbaumaterial wichtigen Forderung.
4. Forderung:
Das am Schuh verarbeitete Material muss ein genügendes Wasserdampfspeicherungsvermögen haben
Die Schweißmengen, die der Fuß abscheidet, sind ohne Zweifel je nach der individuellen Veranlagung des Menschen, je nach der Arbeitsleistung, der Außentemperatur und anderen Faktoren außerordentlich verschieden. Entsprechend schwanken auch die diesbezüglich in der Fachliteratur gemachten Angaben erheblich. Nach Mitteilung von Herrn Prof. Lehmann vom Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie in Dortmund haben wir bei unseren Berechnungen einmal zugrunde gelegt, dass beim ruhenden Menschen an der Fußsohle bei 20 ° eine Schweißabgabe von 30 g, bei 30 ° von 50 g und bei 38 ° wieder von 30 g/h m2 erfolgt. Die entsprechenden Zahlen am Fußrücken betrugen bei 26-27 °C 30-50 g und bei 40 °C 350-400 g/h m2. Setzt man nun diese Zahlen zu den festgestellten Wasserdampfdurchlässigkeitswerten in Beziehung, so stellt man mit Erstaunen fest, dass selbst bei Leder, von dessen ausreichender Atmungsfähigkeit wir alle überzeugt waren, die Wasserdampfdurchlässigkeit nicht ausreicht, um diese feuchten Ausdünstungen zu entfernen. Was geschieht mit dem restlichen Schweiß und warum haben wir bei Austauschstoffen für Brandsohlen und bei Corfam einen feuchten Fuß, bei Leder unter gleichen Bedingungen dagegen nicht?
Hier tritt eine weitere Eigenschaft des Leders in Aktion, die Wasserdampfaufnahme als Maß für ein Wasserdampfspeicherungsvermögen. Auch hier besitzen Lederbrandsohlen und Oberleder ein wesentlich günstigeres Verhalten gegenüber den entsprechenden Austauschstoffen. Wenn man annimmt, dass von der vom Fußrücken abgegebenen Schweißmenge von 40 g/h m2 nur die Hälfte durch die Wasserdampfdurchlässigkeit entfernt wird und damit ein Überschuss von 20 g/h m2 zurückbleibt, so kann Oberleder diese Wasserdampfmenge über mindestens 6 Stunden speichern, während bei Corfam schon nach höchstens einer halben Stunde das Speicherungsvermögen erschöpft ist. Bei Brandsohlwerkstoffen sind die Verhältnisse analog. Bei einem Überschuss von 15 g/h m2 würden Brandsohlleder über etwa 10 Stunden diese Menge binden können, während bei Vlieskunststoffen schon nach 4 Stunden das Wasserdampfspeicherungsvermögen erschöpft ist. Diese Sonderstellung des Leders gegenüber seinen Austauschstoffen wird noch dadurch unterstrichen, dass es diese Wassermenge nicht nur adsorptiv in den Faserzwischenräumen aufnimmt, sondern auch micellar aufzunehmen und mit den im Kollagen vorhandenen stark polaren Gruppen (ähnlich wie bei Wolle) relativ fest zu binden vermag. Daher fühlt sich Leder bei gleichem Wassergehalt bei weitem nicht so feucht an wie seine Ersatzstoffe. Wir haben beispielsweise den verschiedenen Brandsohlmaterialien jeweils die gleiche Wassermenge zur Aufnahme angeboten und diese Muster dann einer Reihe völlig unbeteiligter Menschen vorgelegt mit dem Ersuchen, festzustellen, welche Materialien den höheren Feuchtigkeitsgehalt besäßen. Alle Prüfer sprachen ausnahmslos die Austauschstoffe als wesentlich feuchter an. In diesem Zusammenhang interessiert auch das Ergebnis eines „Filtrierpapiertestes„, bei dem den verschiedenen Brandsohlmaterialien wieder jeweils die gleichen Wassermengen zur Aufnahme angeboten und die Proben dann eine Stunde zwischen Filtrierpapier und Glasscheibe gelagert wurden, so dass das Wasser nur in das Filtrierpapier abwandern konnte. Der eingetretene Gewichtsverlust betrug in Prozent der aufgenommenen Wassermenge bei den Ledern im Mittel 6,5%, bei den vliesartigen Brandsohlwerkstoffen dagegen 22,7% was die stärkere Bindung des Wassers an die Ledersubstanz deutlich unterstreicht.
Ich hoffe, Ihnen gezeigt zu haben, dass für die Herstellung eines fußgerechten Schuhs nicht nur der fußgerechte Leisten von Bedeutung ist, sondern dass es auch wichtig ist, dass die verarbeiteten Materialien in tragehygienischer Hinsicht gewissen Mindestanforderungen entsprechen.
Sie müssen
- Eine dem jeweiligen Verwendungszweck angepasste bleibende Dehnung haben, so dass sich der Schuh sowohl in der Brandsohle wie im Oberleder in kürzester Zeit der jeweiligen individuellen Fußform anpassen kann.
- Sich unter dem Einfluss der Fußfeuchtigkeit in ihrer Fläche so verändern, dass sie sich dem Tagesrhythmus der Volumenveränderung des Fußes anpassen können.
- Eine zweckentsprechende Mikroporosität haben, die bei sachgemäßer Herstellung — gegebenenfalls unterstützt durch eine richtige Hydrophobierung — gute Wasserdichtigkeit und gute Atmungsfähigkeit zugleich gewährleistet.
- Ein hohes Wasserdampfspeicherungsvermögen besitzen.
Es kommen sicherlich noch andere Gesichtspunkte hinzu. Ich habe Ihnen jedoch in meinem Vortrag zunächst einmal die wichtigsten Punkte herausgestellt und anhand der übermittelten Zahlen gezeigt, in welch starkem Maße gerade in diesen markanten Eigenschaften das Leder seinen Austauschstoffen überlegen ist. Dieses auf die besonderen Bedingungen der menschlichen Haut so vorzüglich abgestimmte Verhalten des Leders ist aber nicht verwunderlich, denn Leder wird ja aus tierischer Haut hergestellt, also aus einem Material, das schon am Körper des lebenden Tieres die gleichen Aufgaben zu erfüllen hatte, die es später in seiner Funktion als Leder am Schuh oder als Bekleidungsmaterial schlechthin erfüllen soll. Die Aufgabe der Lederherstellung hat es daher lediglich zu sein, diese von der Natur aus gegebenen wertvollen Eigenschaften der tierischen Haut zu fixieren und möglichst wenig zu verändern. Je besser das gelingt, desto mehr wird das natürliche Bekleidungsorgan des Tieres auch stets das beste Bekleidungsmaterial für den menschlichen Körper sein.
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