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Nichtthermoplastische Bindemittel für Bügel-Zurichtungen
Der technische Effekt der Bügel-Zurichtung, das Verfließen und Verschweißen der einzelnen Auftragsschichten zu einem zusammenhängenden Zurichtfilm, beruht auf der thermoplastischen Verformbarkeit der Polymerisatbindemittel, Es mutet daher auf den ersten Blick erstaunlich an, dass bei der Bügel-Zurichtung auch nichtthermoplastische Bindemittel verwendet werden. Dazu ist festzustellen, dass Bügel-Zurichtungen allein auf nichtthermoplastischer Basis nicht üblich sind. Wenn Handschuh- oder Bekleidungsleder ohne thermoplastische Binder in Bügel-Zurichtung gearbeitet wird, dann handelt es sich im wesentlichen um Leder mit Anilincharakter, das nur einen leichten Appreturauftrag auf der Basis von Nitrocellulose, von Polyurethan oder von beiden erhalten hat. Diese Appreturfilme sind durch innere oder äußere Weichmachung zu einem gewissen Grad plastisch verformbar ohne ausgesprochen thermoplastisch zu sein. Hinzu kommt, dass bei dem weichen Ledertyp auch die Narbenschicht durch heißes Bügeln geglättet und geglänzt werden kann.
Typische nichtthermoplastische Bindemittel, in erster Linie Eiweißsubstanzen, werden bei der Bügel-Zurichtung gemeinsam mit Polymerisatbindern eingesetzt. Diese Anwendungsweise erfolgt in der Hauptsache in der Egalisierfarbe, also in den oberen Auftragsschichten, als Auflage auf einer stärker thermoplastischen Grundier- oder Binderschicht. Der Einsatz der nichtthermoplastischen Bindemittel bei der Bügelzurichtung verfolgt mehrere Ziele. Thermoplastisches Verformen der Polymerisatbinder ist bei der Bügel-Zurichtung für die Bügelbehandlung erforderlich und erwünscht. Bei der Verarbeitung des Leders kann es aber nachteilig sein, wenn das Leder heiß behandelt wird. Bei der Schuhfertigung wird in manchen Betrieben der Schaft durch Heißeinscheren aufgeleistet. Der überstehende Schaftrand wird zum straffen Spannen des Leders über die Leistenform nicht mit Zwickzangen übergeholt, sondern mit scherenartig sich öffnenden und schließenden erhitzten Metallplatten auf den Leistenboden geschoben. Bei dieser Prozedur kann der thermoplastische Zurichtfilm erweichen, klebrig werden und sich vom Lederuntergrund abschieben. Gleiche Schwierigkeiten können auftreten, wenn bei der Verarbeitung des Leders entstehende Falten durch Überstreichen mit einem heißen Bügeleisen geglättet werden. Mitverwendete nichtthermoplastische Bindemittel vermindern die Thermoplastizität und die Empfindlichkeit der gesamten Zurichtung gegen Hitzeeinfluss und verbessern die Heißreibbeständigkeit. Polymerisatbinder werden durch viele organische Lösemittel gequollen oder gelöst. Sie sind daher empfindlich gegen Klebstofflösungen oder gegen die Einwirkung von in Aceton geweichten Schuhvorderkappen. Eiweißbindemittel sind gegen Lösemittel beständig und verbessern die Zurichtung gegenüber solchen Einflüssen.
Als nichtthermoplastische Bindemittel werden in vielen Fällen Eiweißlösungen eingesetzt. Das sind z. B. die bei der Stoß-Zurichtung verwendeten Caseinlösungen. Sie müssen vorsichtig dosiert werden, da sie den Polymerisatfilm verhärten, die Knickbeständigkeit dicker Filme beeinträchtigen und groben Narbenwurf ergeben können. Sie steigern die Wasseraufnahme und vermindern die Naßreibechtheit, während die Trockenreibechtheit besser wird. Mischfilme aus Polymerisatdispersionen und Eiweißlösungen können härter auftrocknen als der Film jeder einzelnen Komponente. Die kombinierten thermoplastisch- nichtthermoplastischen Bindemittel sind daher nur in dünner Schicht aufzutragen, um ausreichende Flexibilität zu gewährleisten.
Als nichtthermoplastische Abmischkomponente haben sich polyamidartig modifizierte Eiweißbinder bei der Bügel-Zurichtung bewährt. Sie besitzen eine gewisse Affinität zu den Polymerisaten und ergeben zusammen mit diesen einen weitgehend homogenen, klaren Film, der flexible, knickbeständige Zurichtschichten mit reinen, brillanten Farbtönen erhalten lässt. Auch diese Kombinationen ergeben aber weniger zügige Filme als die reinen Polymerisate, so dass ihr Einsatz auf die oberen, dünn aufgetragenen Zurichtschichten beschränkt bleiben sollte. Der Vorschlag, gelöstes Collagen als nichtthermoplastischen Eiweißanteil zusammen mit Polymerisatdispersionen anzuwenden, hat sich in der Praxis nicht durchgesetzt.
Nichtthermoplastische Komponenten zum Abmischen mit Polymerisatdispersionen können weiterhin Nitrocelluloselack-Emulsionen sein. Die Emulsionsform mit der Phasenverteilung Lack-in-Wasser lässt den Nitrocelluloselack leicht in den wässrigen Deckfarben-Polymerisat-Ansatz einrühren und gleichmäßig verteilen. Obwohl die meisten Dispersionsbinder gegen Lösemittel empfindlich sind und die Dispersion durch Anquellen oder Anlösen des Polymerisats gelieren kann, sind die Mischungen ausreichend lange beständig, da die Lösemittel der Nitrocelluloselackemulsion durch die Wasserhülle vom Polymerisat getrennt sind. Voraussetzung für diese Stabilität ist, dass die Lackemulsion keine oder höchstens geringe Anteile mit Wasser mischbarer Lösemittel bzw. Verdünnungsmittel, z. B. Alkohole, Glykole oder Methylglykolester, enthält. Die wasserfest auftrocknenden Nitrocelluloselack-Emulsionen verbessern Quellfestigkeit und Naßreibechtheit des Polymerisatfilms. Die klebfreie Oberfläche, die Eigenfilmhärte und das nichtthermoplastische Verhalten der Nitrocellulose vermindern unerwünschtes Kleben des Mischfilms an der Bügelplatte beim Zwischenbügeln und ebenso beim Stapeln im Zwischenstadium der Zurichtung. Die Durchreibfestigkeit und Trockenreibechtheit der Zurichtung werden ebenfalls verbessert. Die in der Emulsion enthaltenen Lösemittel benetzen bei wenig saugfähigem Leder die Oberfläche besser, verteilen den Auftrag gleichmäßiger und ergeben ein ruhigeres Flächenbild als rein wässrige Ansätze. Sie verbessern die Haftfestigkeit der auf zwischengebügelte, thermoplastisch versiegelte Schichten aufgebrachten Aufträge und lassen in vielen Fällen den flüssigen Farbvorhang in der Gießmaschine ruhiger und weniger störanfällig laufen. Wenn bei Antrocknen der Auftragsschicht auf dem Leder die Emulsion bricht und in den Filmverband übergeht, dann wirken die Lösemittel auch auf das Polymerisat ein und quellen es an. Sie werden beim Trocknen etwas zurückgehalten, so dass die Mischfilme etwas längere Trockenzeit benötigen als lösemittelfreie Ansätze. Oberflächenklebrigkeit und Reibempfindlichkeit bestehen noch so lange, bis die Lösemittel voll verdunstet sind. Nach Durchtrocknen ist dann die volle Widerstandsfähigkeit erreicht. Zurichtaufträge aus Mischungen von Polymerisatdispersionen und Nitrocelluloselackemulsionen dürfen deshalb nicht zu rasch nach oberflächlichem Antrocknen gebügelt oder narbengepresst werden.
Mischfilme aus Nitrocellulose und Polyacrylat trocknen mit etwas matter Oberfläche auf. Das steigert die Flächenruhe der Zurichtung und verbessert die Egalisierwirkung. Wenn der Mattiereffekt für das Aussehen des fertig zugerichteten Leders unerwünscht ist, kann er durch Aufbringen einer Hochglanzappretur wieder aufgehoben werden, ohne dass die Flächenruhe des mattierten Untergrunds verloren geht.
Der Nitrocellulosefilm ist in vielen organischen Lösemitteln löslich. Trotzdem muss nicht befürchtet werden, dass die Bügel-Zurichtung gegenüber der Einwirkung von Lösemitteln aus Sohlenklebstoffen oder acetonfeuchten Schuhkappen durch Polymerisat Nitrocellulose- Mischfilme empfindlicher wird. Sie wird im Gegenteil widerstandsfähiger. Die Ursache für dieses Verhalten liegt vermutlich darin, dass die von der Fleischseite her durch das Lederfasergefüge hindurch von unten auf die Zurichtschichten wirkenden Lösemittel während der Schuhherstellung im allgemeinen auf eine schmale Zone begrenzt einwirken. Die im Film verteilte Nitrocellulose saugt die Lösemittel ziemlich begierig auf und verteilt sie rasch auf eine größere Flächenzone. Dadurch wird die aggressive Konzentration der Lösemittel so weit vermindert, dass sie die Deckschicht nicht mehr schädigend anquellen können.
In gleicher Weise wie Nitrocelluloseemulsionen können auch Polyurethane in wässriger Emulsions- oder Dispersionsform mit den Polymerisatdispersionen kombiniert werden. Dabei kann es sich sowohl um selbstemulgierende Ionomere wie auch um extern emulgierte Lösungen handeln, die durch die Wasserhülle voneinander getrennt sind und erst auf dem Leder bei Verdunsten des Wassers vernetzen. In der Mischung mit Polymerisatdispersionen wirkt das wasserverdünnbare Polyurethan bzw. Prepolymere als Penetrator. Es verbessert Verlauf und Haftfestigkeit der aufgetragenen Schicht. Die Auswirkung des nichtthermoplastischen Verhaltens auf den Mischfilm ist etwa gleich wie bei Nitrocellulose. Die Nassreibechtheit ist allerdings geringer. Sie kann durch Nachvernetzen mit einem sauren Fixiermittel deutlich verbessert werden.
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