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95 Über Anforderungen an das tragehygienische Verhalten von Materialien für den Schuhbau Jahr 1970

Sonderdruck aus Orthopädische Praxis 11/70 VI. Jahrgang, Seite 267 - 276

Über Anforderungen an das tragehygienische Verhalten von Materialien für den Schuhbau Vortrag auf der Frühjahrstagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden, Baden-Baden 1970 Von Prof. Dr. Ing. habil. Hans Herfeld Westdeutsche Gerberschule, Reutlingen Lehr-, Prüf- und Forschungsinstitut für die Lederwirtschaft

Fußhygiene und Tragekomfort der Schuhe,

also die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen dem Fuß und seiner Bekleidung hängen von zwei Faktoren ab,der Schuhform und den am Schuh verarbeiteten Materialien. Die erste Frage ist zwischen Orthopäden und Schuhherstellern zu klären, für die Eignung der am Schuh verarbeiteten Materialien sind diejenigen verantwortlich, die sie herstellen oder verarbeiten. Dabei werden die Anforderungen, die Verarbeiter und Verbraucher an sie stellen, häufig unterschiedlich sein. Den Schuhhersteller interessiert in erster Linie die rationelle Verarbeitbarkeit und mit zunehmender Automatisierung der Schuhfertigung werden Forderungen nach dieser Richtung immer mehr in den Vordergrund treten. Den Verbraucher interessiert dagegen neben der Haltbarkeit, wie der Schuh sitzt, ob der Fuß sich darin wohlfühlt und ob die Forderungen der Fußgesundheit erfüllt sind. Neben Leder als klassischem, seit Jahrhunderten bewährtem Material für den Schuhbau treten synthetische Werkstoffe immer mehr in Erscheinung, Gummisohlen statt Leder, Lederfaserwerkstoffe und Vliesbrandsohlen an Stelle der Lederbrandsohlen und neuerdings auch als poromerisch bezeichnete Materialien auf Vliesbasis für Schuhoberbau und das Futter. Dieses Nebeneinander ist unvermeidlich, denn der Bedarf an Schuhen wird auf lange Sicht weltweit aus vielen Gründen stärker ansteigen als die Rohhautmenge für die Lederherstellung, die ja von einem ganz anderen Faktor, dem Fleischkonsum, bestimmt wird. Die Konkurrenz zwischen Leder und Synthetiks hat zudem schon jetzt beiden Herstellungsgruppen wichtige Impulse gegeben. Voraussetzung für den richtigen Einsatz ist aber eine zuverlässige Kenntnis der Anforderungen, die Tragehygiene und Tragekomfort bestimmen. Um sie zahlenmäßig zu erfassen, haben wir seit Jahren vergleichende laboratoriumsmäßige Untersuchungen und praktische Trageversuche auf breiter Basis durchgeführt und alle Werte in den Tabellen dieser Veröffentlichung stellen Mittelwerte von Untersuchungen einer Vielzahl von Proben der einzelnen Gruppen dar. Neuerdings führt Prof. Müller-Limmroth am Institut für Arbeitsphysiologie in München unter medizinischen Aspekten ähnliche Untersuchungen durch, über deren erste Ergebnisse er kürzlich vor den Bekleidungsmedizinern in Baden-Baden berichtete. Diese Untersuchungen sind noch lange nicht abgeschlossen, die bisherigen Teilergebnisse haben aber unsere Vorstellungen in vollem Umfang bestätigt. Sechs Forderungen müssen nach unseren bisherigen Kenntnissen erfüllt sein, wenn ein Material vom Standpunkt der Tragehygiene und dem Fußkomfort aus als unbedenklich angesprochen werden kann. Dazu kommen noch Anforderungen, die die Lebensdauer der Schuhe bestimmen, die hier aber außer acht gelassen werden sollen.

1. Forderung: Das am Schuh verarbeitete Material muß sich der individuellen Form des Fußes anpassen.

Diese Forderung wird der Konfektionsschuh von Haus aus nicht voll erfüllen, denn er wurde in der Schuhfabrik über einen Normalleisten gearbeitet, der nicht auf die individuellen Besonderheiten des einzelnen Fußes Rücksicht nehmen kann, und das Mehrweitensystem ist in Europa noch nicht sehr ausgebaut. So wird der neue Schuh zunächst an dieser oder jener Stelle des Fußes etwas drücken, doch muß das verarbeitete Material eine solche Dehnbarkeit haben, daß es sich in kurzer Zeit der individuellen Fußform anpassen kann, ohne Gefügezerstörungen zu erleiden. Das gilt für die Brandsohle, in der sich rasch ein „natürliches Fußbett„ ausbilden soll, wie für das Oberbaumaterial, das die Bewegungen des Fußes beim Gehvorgang nicht stören, den Fuß nicht zusammendrücken und die Hautdurchblutung nicht unterbinden darf. Eine gewisse bleibende Dehnung ist daher bei allen am Schuh verarbeiteten Materialien unbedingt erforderlich, wenn natürlich auch nur in gewissen Grenzen, damit der Schuh dem Fuß einen genügenden Halt gibt und sich nicht zu sehr ausweitet. Die tierische Haut, aus der das Leder hergestellt wird, besteht bekanntlich aus einem komplizierten Geflecht endlos kreuz und quer dreidimensional verflochtener kräftiger kollagener Fasern, und die Dichtigkeit dieser Verflechtung kann bei der Lederherstellung mehr oder weniger stark aufgelockert werden, so daß Leder auf jeden für den Verwendungszweck gewünschten Grad an bleibender Dehnung eingestellt werden kann. Dieser auf einer netzartigen Verformung des Fasergefüges beruhende Teil der Gesamtdehnung erreicht nach kurzer Zeit einen Endzustand und weitere Dehnungsbeanspruchungen sind dann elastisch und somit reversibel. Ist dagegen die bleibende Dehnung zu hoch, wie etwa bei allen Gummisohlen (Tabelle 1) und schreitet sie bei wiederholter Beanspruchung ständig fort (Differenz zwischen 1. und 5. Hochwölben), dann ist das Formhaltevermögen schlecht und die Gummisohlen würden in kurzer Zeit starke Verformungen des Schuhes bewirken, wenn dieser Tendenz nicht durch Einbau von Lederbrand- und Zwischensohlen entgegengewirkt würde. Ist die bleibende Dehnung zu gering, wie bei vielen Brandsohlenwerkstoffen, so wird die Anpassung an die Leistenform und die Ausbildung eines fußgerechten Fußbettes erschwert. Das gilt, wie Tabelle 2 zeigt, insbesondere für die heute viel verwendete Texonbrandsohle und daher besteht die Gefahr, daß unter dem Druck des Körpers bei gleichzeitigem Einfluß des Fußschweißes und der ständigen Reibung des Strumpfes nach verhältnismäßig kur¬zer Tragedauer mehr oder weniger starke Zermürbungen bis zur völligen Gefügezerstörung namentlich in der Ballengegend eintreten können (Bild 1). Dem wurde in den letzten Jahren durch Steigerung des Bindemittelgehaltes entgegengewirkt, aber das führt zwangsläufig zu einer Verschlechterung des Verhaltens gegenüber Wasserdampf, auf das ich noch zu sprechen komme. Auch die meisten neuen synthetischen Materialien für den Oberbau erreichen bezüglich der bleibenden Dehnung bei weitem nicht die Werte des Leders (Tabelle 3). Am günstigsten ist noch Xylee, am ungünstigsten Quox und Corfam anzusprechen. Auch bei den Werkstoffen 1—4, bei denen es sich um neue japanische Entwicklungen handelt, bei denen Haut bzw. Lederfasern zusammen mit synthetischen Fasern zum Aufbau des Faservlieses verwendet würden, werden die Werte der bleibenden Dehnung des Leders nicht erreicht. Die Zahlen der Tabelle 3 machen verständlich, daß viele Träger solcher Schuhe das Gefühl haben, täglich einen neuen Schuh anzuziehen und daß der Schuh, wenn er einmal drückt, auch nach längerer Tragedauer drückt, weil das Oberbaumaterial sich nicht der individuellen Fußform ausreichend anpassen kann. Natürlich werden die mit diesen Oberbaumaterialien hergestellten Schuhe längere Zeit ein glattes Aussehen bewahren, aber man sollte diese Tatsache nicht besonders herausstellen, ohne den Träger gleichzeitig davon zu unterrichten, daß er diesen Vorteil mit einer größeren Gefahr des Drückens der Schuhe und der Unterbindung einer genügenden Hautdurchblutung zu erkaufen hat. Daß sich bei den bereits erwähnten vergleichenden Trageversuchen bei einigen Trägern stets an dem Fuß, der den Corfamschuh trug, Hühneraugen bildeten, nicht dagegen an dem Gegenfuß mit dem Lederschuh, sei der Vollständigkeit halber hier ebenfalls erwähnt. Tabelle 4 gibt schließlich entsprechende Zahlenwerte für die Schuhfuttermaterialien wieder. Auch hier ist bei den älteren Materialien auf Gewirkebasis die bleibende Dehnung wesentlich zu niedrig, bei neueren Materialien werden teilweise gute Werte für die bleibende Dehnung erreicht, so daß von ihnen bezüglich des Drückens der Schuhe keine Nachteile zu befürchten sind.

2. Forderung: Die Biegeelastizität der Oberbaumaterialien muß ein leichtes Abrollen der Gehbewegung gestatten.

Daß alle Materialien für den Schuhoberbau bei der Prüfung im Gehfaltenprüfer bis zu 100000 Biegebeanspruchungen trocken und naß in Längs- und Querrichtung aushalten sollten, ist selbstverständlich. Hier sei aber auch die weitere Forderung angeführt, daß sie dem natürlichen Abrollvorgang der Fußbewegung möglichst wenig Widerstand entgegensetzen. Hier wurden sowohl bei den laboratoriumsmäßigen Prüfungen wie bei den praktischen Trageversuchen teilweise erhebliche Unterschiede in der Faltenbildung beobachtet. Während die Leder meist etwas faltiger wurden als die Kunststoffe, jedoch eine Vielzahl wesentlich feinerer Falten aufwiesen, zeigten sich bei einigen Kunststoffen zwar nur wenige. aber tiefe Falten unmittelbar am Zehengelenk, die ein starkes Drücken der Schuhe gerade im Ansatz der großen Zehe bewirkten und schmerzhafte lokale Abschnürungen zur Folge hatten. Diese Erscheinung hängt einmal mit dem schon erwähnten unterschiedlichen Dehnungsverhalten, aber auch mit ungenügender Weichheit bzw. Flexibilität dieser Werkstoffe zusammen und sollte daher bei der richtigen Auswahl der Materialien für den Schuhoberbau ebenfalls unbedingt Beachtung finden.

3. Forderung: Das am Schuh verarbeitete Material muß sich dem Tagesrhythmus der Änderung des Fußvolumens anpassen.

Man könnte glauben, der Nachteil zu geringer bleibender Dehnung ließe sich dadurch beheben, daß man die Schuhe von vornherein etwas größer kauft. So einfach liegen aber die Verhältnisse nicht, da die Fußform bekanntlich nicht konstant ist, sondern im Laufe des Tages unter dem Einfluß des Schweißes und der Ermüdung eine Volumenzunahme erfährt, die in der Ruhe der Nacht wieder zurückgeht. Sie beträgt nach Feststellung von Müller - Limmroth bei normaler Beanspruchung im Mittel 4—5 % und kann in Einzel¬fällen bis zu 8 % ansteigen. Bei Leder nimmt nun die Fläche unter Feuchtigkeitsaufnahme zu, beim Auftrocknen wieder ab und paßt sich daher unter dem Einfluß der Fußausdünstungen der normalen Volumenänderung des Fußes an. Tabelle 5 zeigt die Flächenzunahme bei Steigerung der Feuchtigkeit der umgebenden Luft von 65 % auf 100 % und macht deutlich, daß alle bisher im Handel befindlichen synthetischen Schuhbaumaterialien in dieser Eigenschaft entscheidend hinter Leder zurückstehen, auch die Materialien 1—4, die Lederfasern in den Vlies eingearbeitet enthalten, weil das Bindemittel die Wirkung der natürlichen Kollagenfaser kompensiert. Es genügt also nicht, den Kunststoffschuh größer zu kaufen, denn paßt er am Morgen, dann drückt er bestimmt am Abend; paßt er abends, so wird er morgens zu groß sein. Diese Erscheinung hat sich bei unseren Trageversuchen nicht bei allen Trägern in gleichem Umfang bemerkbar gemacht, eine Reihe von ihnen hat aber darüber sehr geklagt. Dasselbe gilt, wie Tabelle 6 zeigt, auch für die synthetischen Futtermaterialien. Es genügt nicht, daß sich das Schuhoberbaumaterial dem Tagesrhythmus des Fußes anpaßt, wenn die Futtermaterialien das nicht auch zu tun vermögen und damit den Fuß im Inneren des Schuhes in einer zu unelastischen Hülle halten. Auch für das Futtermaterial muß die gleiche Forderung gestellt werden, daß es dem Tagesrhythmus des Fußvolumens in genügendem Maße folgen kann.

4. Forderung: Das am Schuh verarbeitete Material für Sohlen und Oberbau muß genügend wasserdicht sein.

Die Notwendigkeit dieser Forderung braucht nicht besonders begründet zu werden. Daß die völlig unporösen Gummisohlen einwandfrei wasserdicht sind, ist bekannt. Bei Leder für Sohlen hat die grundsätzliche Wandlung nach immer flexibleren und immer dünneren Besohlungsmaterialien zwangsläufig die Wasserdichtigkeit vermindert, doch wurden zahlreiche Verfahren entwickelt, durch entsprechende Hydrophobierung jeden Grad der Wasserdichtigkeit zu erreichen und es erscheint mir eine falsche Sparsamkeit, die hierfür entstehenden zusätzlichen Kosten oft nicht anwenden zu wollen. Über die Wasserdichtigkeit der Oberbaumaterialien gibt Tabelle 7 Auskunft. Die unter den verschärften Bedingungen der Laboratoriumsversuche erhaltenen absoluten Zahlen für den Wasserdurchtritt sind natürlich nicht ohne weiteres auf die Praxis übertragbar, zeigen aber, daß die Leder im Mittel durchweg ein günstigeres Verhalten als die meisten Kunststoffe aufweisen, wobei auch hier durch entsprechende Hydrophobierung jeder Grad der Wasserdichtigkeit erreicht werden kann und meist nur die höheren Kosten die Ausnutzung dieser Möglichkeit verhindern. Die letzte Spalte zeigt ferner, daß die pro Zeiteinheit durchtretende Wassermenge bei vielen Synthetiks größer ist als bei Leder.

5. Forderung: Das am Schuh verarbeitete Material muß eine genügende Wasserdampfdurchlässigkeit besitzen.

Ich spreche hier weder von Atmung noch von Luftdurchlässigkeit, denn beide Begriffe werden den tatsächlichen Verhältnissen nicht gerecht. Der vom Fuß abgeschiedene Schweiß verläßt die Haut vorwiegend in flüssiger Form, muß aber auf der Oberfläche des Fußes verdunsten, wie es die Natur ursprünglich vorgesehen hat. Der Schweiß hat ja in erster Linie die Aufgabe, Wärme abzutransportieren und damit den Wärmehaushalt des Körpers zu regulieren und daher kommt dieser Verdunstung eine besondere Bedeutung zu. Flüssiges Wasser von 37° C enthält bekanntlich nur 37cal/g, Wasserdampf der gleichen Temperatur hat dagegen einen Wärmeinhalt von 613 cal/g und vermag damit rund 16mal mehr Wärme abzutransportieren als flüssiges Wasser. Je mehr Wasserdampf die Schuhbaumaterialien abführen, um so besser tritt am Fuß der natürliche Vorgang ein, daß das austretende Wasser zunächst verdunstet und dann als Wasserdampf abtransportiert wird. Erfolgt dieser Abtransport nicht, so schlägt sich die Feuchtigkeit auf dem Fuß nieder, wodurch einmal ein ausgeprägtes Gefühl des Unbehagens verursacht und zum anderen ein Schweißstau bewirkt und damit die weitere Schweißsekretion gehemmt wird. Feuchte, heiße Füße und die Gefahr des Wundreibens zwischen den Zehen sind die Primärfolgen, Schweißfußbildung, Fußpilzerkrankungen und Kreislaufbelastungen die sekundären Erscheinungen. Daher spielt für alle am Schuh verarbeiteten Materialien die Entfernung des Wasserdampfes eine entscheidene Rolle. Brandsohlleder, gleich welcher Art, besitzen eine gute Wasserdampfduchrlässigkeit, aber auch die üblichen Austauschstoffe weisen hier günstigere Werte auf. (Tabelle 8).

Die Wasserdampfdurchlässigkeit der Brandsohlen kann aber nur dann zum Abtransport der feuchten Ausdün¬stungen beitragen, wenn auch die Lauf¬sohle den Wasserdampf übernehmen und nach außen transportieren kann. Das ist nach den Werten der Tabelle 8 bei Ledersohlen der Fall, während Gummisohlen völlig unporös sind, und dann nützt auch die beste Wasserdampfdurchlässigkeit der Brandsohle nicht viel. Zwar wird häufig behauptet, daß auch die gute Wasserdampfdurchlässigkeit der Lederlaufsohle durch das Bestreichen mit Sohlenklebstoffen und das Verarbeiten mit Ausballmassen völlig unterbunden würde. Wir haben zahlreiche Aufstriche von Ausballmassen untersucht und dabei stets eine völlig ausreichende Wasserdampfdurchlässigkeit gefunden. Klebstoffe können natürlich den Wasserdampftransport nach außen stark unterbinden, wenn die ganze Sohlenfläche damit eingestrichen wird. Wird der Klebstoff aber nur auf den Randpartien aufgetragen, die allein für die Festigkeit der Verklebung maßgebend sind, dann bleibt der innere Teil der Sohle für eine gute Wasserdampfdurchlässigkeit erhalten.

Daß Oberleder und Futterleder eine gute Wasserdampfdurchlässigkeit besitzen, braucht nicht besonders betont zu werden. Die Werte der Tabellen 9 und 10 zeigen aber, daß viele der neuen synthetischen Materialien für Schuhoberbau und Futter eine Wasserdampfdurchlässigkeit besitzen, die die des Leders zwar nicht voll erreicht, aber ihr doch beträchtlich nahekommt. Eine Ausnahme machen nur Quox, Cevaal und Skailen ber den Oberbaumaterialien und Roy Poreda und die Futterstoffe auf Gewirkebasis bei den Futtermaterialien. Daher hätten auch bei vergleichenden praktischen Trageversuchen gleich trockene Füße resultieren müssen. Die Mehrzahl der Träger stellte aber z. B. bei vergleichenden Trageversuchen zwischen Corfam und Leder eindeutig bei Corfam feuchte, beim Lederschuh trockene Füße fest. Damit komme ich zur vielleicht wichtigsten Forderung für die Schuhbaumaterialien:

6. Forderung: Das am Schuh verarbeitete Material muß ein genügendes Wasserdampf Speicherungsvermögen haben.

Zahlreiche Untersuchungen und Berechnungen haben gezeigt, daß auch bei Leder die Wasserdampfdurchlässigkeit bei weitem nicht ausreicht, um die feuchten Ausdünstungen des Fußes restlos zu entfernen. Hier tritt eine weitere Eigenschaft des Leders, die Wasserdampfaufnahme als Maß für ein Wasserdampfspeicherungsvermögen in Aktion.

Tabelle 11 zeigt das wesentlich günstigere Verhalten der Lederbrandsohlen gegenüber synthetischen Brandsohlenmaterialien und macht verständlich, warum bei ersteren stets ein weitgehend trockenes Fußbett erhalten bleibt, auch wenn durch eine Gummisohle die Funktion der Wasserdampfdurchlässigkeit praktisch unterbunden wird, während das bei synthetischen Brandsohlenmaterialien nicht der Fall ist. Die Tabellen 9 und 10 zeigen, daß auch die synthetischen Oberbau- und Futtermaterialien in dieser Eigenschaft weit hinter Leder zurückstehen. Warum die japanischen Werkstoffe 3 und 4, die stark lackiert sind, etwas höhere Werte ergeben, werde ich noch begründen. Leder kann also beträchtliche Mengen Wasserdampf im Fasergefüge speichern, wobei diese Wassermengen nicht nur absorptiv in den Faserzwischenräumen, sondern auch mizellar aufgenommen und von den vorhandenen polaren Gruppen so fest gebunden werden, daß es sich trotzdem nicht feucht anfühlt. Die Zahlen der Tabellen 9 bis 11 machen verständlich, daß bei allen heutigen Kunststoffen das Speicherungsvermögen relativ rasch erschöpft ist und daher schnell feuchte und heiße Füße auftreten müssen. Die Sonderstellung des Leders besteht eben darin, daß es eine hohe Wasserdampfdurchlässigkeit und ein hohes Wasserdampfspeicherungsvermögen besitzt, beide Eigenschaften sich also gegenseitig unterstützen und daher mit Sicherheit dafür sorgen, daß die entstehenden feuchten Ausdünstungen des Fußes entweder abtransportiert oder im Leder so gespeichert werden, daß sie das Wohlbefinden des Trägers nicht beeinträchtigen.

Allerdings nützen die günstigen Eigenschaften des Oberleders nach dieser Richtung allein nichts, wenn nicht zugleich auch das verarbeitete Futtermaterial die gleichen Eigenschaften aufweist. Tabelle 12 zeigt die Ergebnisse von Untersuchungen, bei denen verschiedene Oberbau- und Futtermaterialien miteinander kombiniert wurden. Alle vier Materialien besitzen von Haus aus eine gute Wasserdampfdurchlässigkeit und entsprechend ist auch die Wasserdampfdurchlässigkeit bei jeder Kombination einwandfrei. Dagegen ist die Wasserdampfaufnahme nur dann gut, wenn Oberleder und Futterleder, also zwei Materialien mit hohem Speicherungsvermögen, kombiniert waren, während das gute Speicherungsvermögen des Oberleders stark vermindert wird, wenn es mit einem synthetischen Futtermaterial kombiniert wird. Daß die Kombination der beiden synthetischen Materialien das ungünstigste Ergebnis liefert, war zu erwarten. Lassen Sie mich zum Schluß noch eine neue Erkenntnis mitteilen. Wir haben kürzlich ein Leder in einer Wasserdampfaufnahmezahl von etwa 300 mit einer Folie beschichtet, damit seine Wasserdampfdurchlässigkeit fast völlig vernichtet und erwartet, trotzdem etwa das gleiche Wasserdampfaufnahmevermögen zu erhalten. Tatsächlich stieg aber die Wasserdampfaufnahme auf 685. Das zeigt, daß die bisher ermittelten Wasserdampfaufnahmewerte bei weitem noch nicht das maximale Aufnahmevermögen darstellen, sondern nur gelten, wenn gleichzeitig eine Wasserdampfdurchlässigkeit stattfindet. Verhindert man die Wasserdampfdurchlässigkeit durch gleichzeitiges Einlegen einer unporösen Metallplatte, so wurden wie Tabelle 13 zeigt stark erhöhte Werte für die Wasseraufnahme zwischen 600 und 700 gefunden, während bei den synthetischen Materialien zwar auch eine mäßige Erhöhung eintritt, die absoluten Differenzen gegen über den Lederwerten sich aber noch mehr gesteigert haben. Das zeigt, daß auch das heute so modische Lackleder dank des hohen Speicherungsvermögens noch eine einwandfreie Entfernung des Wasserdampfes gewährleistet, während bei lackierten Werkstoffen auf Gewebe¬ oder Vliesbasis, wenn die Porosität durch die Lackierung weitgehend vermindert wird, von einem tragehygienisch einwandfreien Material nicht mehr gesprochen werden kann.

Die vorstehenden Ausführungen umreißen die Forderungen, die alle Materialien erfüllen müssen, die als Werkstoffe für den Schuhaufbau gute Tragehygiene und einwandfreien Tragekomfort gewährleisten. Daß Leder diese Eigenschaften in so ausgezeichneter Weise besitzt, ist nicht verwunderlich, da die tierische Haut schon am Körper des lebenden Tieres viele Aufgaben zu erfüllen hat, die sie später auch in ihrer Funktion als Leder am Schuh erfüllen muß. Synthetische Materialien für den Schuhbau sollten aber nicht nur nach Preis, Aussehen und guter Verarbeitbarkeit beurteilt, sondern erst eingesetzt werden, wenn sie auch den sechs angeführten Forderungen hinsichtlich Tragehygiene und Fußkomfort in vollem Umfang entsprechen. Da es für den Verbraucher im allgemeinen schwer ist, sich ein Urteil über die Eignung der verschiedenen heute für den Schuhbau angebotenen Materialien zu bilden, erscheint es aber vor allem dringend notwendig, auch für alle am Schuh verarbeiteten Materialien verbindliche Bezeichnungsvorschriften vorzuschreiben, wie sich das auf anderen Gebieten immer mehr einführt. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr.-Ing. habil. Hans Herfeld, Westdeutsche Gerberschule, Reutlingen

















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