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Ein Rückblick auf 50 Jahre Gerberschule in Reutlingen aus dem Jahre 2004

Lederinstitut Gerberschule Reutlingen (LGR) e.V.
(Festrede zum Festakt am 12. November 2004)

Im 19. Jahrhundert, das auch als Jahrhundert der Technik und der Maschine bezeichnet wird, entstand mit dem gleichzeitigen Aufkeimen einer speziellen Gerberei-Wissenschaft auch der Wunsch nach entsprechenden eigenen Instituten, die zwischen reiner Wissenschaft und der Praxis in der Lederherstellung vermitteln sollten und als „Gerberschule“ einen gut ausgebildeten Nachwuchs für die Branche schaffen sollten.

So entstanden in den Jahren zwischen 1874 und 1889 die weltweit ersten Gerberei-Institute in Europa:

  • 1874 Lehr- und Versuchsanstalt für die Lederindustrie, Wien
  • 1885 Versuchsanstalt für Lederindustrie, Kopenhagen
  • 1889 Deutsche Gerberschule, Freiberg/Sachsen

In Sachsen war zu dieser Zeit die Lederindustrie mit einem breiten Spektrum an Betrieben vertreten, und im Vorfeld war hier bereits in Zusammenarbeit mit der Forstverwaltung an der Forstakademie in Tharandt bei Dresden eine „Untersuchungsstadion für Gerbstoffe“ entstanden. Auch die in Freiberg gegründete Gerberschule war von Beginn an als „Deutsche Gerberschule“ gedacht.

Parallel zu dieser Ausbildungsstätte wurde bald eine sogenannte „Versuchsanstalt“ – als Stelle für Beratungen, Gutachten­erstellungen und chemischen Untersuchungen – ebenfalls in Freiberg errichtet:

  • 1897 Versuchsanstalt für Lederindustrie, Freiberg/Sa.

Nachdem eine Bündelung aller Kräfte in den Bereichen Schule und Versuchsanstalt immer wünschenswerter erschien, wurden schließlich beide, dem „Centralverein der Deutschen Lederindustrie“ gehörenden Institute unter dessen damaligem Vorsitzenden, Senator Ernst Ammer aus Reutlingen, zusammen­gefasst:

  • 1938 Deutsche Versuchsanstalt und Fachschule für Lederindustrie

Auf diese Weise sollten Synergien aus den 3 Arbeitsbereichen Forschung, Schulung und Untersuchung optimal genutzt werden. In dieser neuen Form konnte die Tätigkeit des Instituts unter friedlichen Bedingungen aber leider nicht lange fortgeführt werden!

Die Folgen des 2. Weltkriegs brachten es mit sich, dass die Lederindustrie als Institutsträger enteignet wurde und nach der Wiederaufnahme des Schulbetriebs ab 1948 nur noch 3 Jahre lang Westschüler aufgenommen wurden. In dieser Zeit fassten weitblickende Vertreter der deutschen Lederindustrie – wie vor allem die Herren Senator Ernst Ammer, Reutlingen; Senator Freiherr von Heyl, Worms; Senator W. Freudenberg, Weinheim – den Entschluss, im Westen ein neues eigenes Institut mit den gleichen Aufgabenstellungen wie seinerzeit in Freiberg aufzubauen.

So wurde an der neu entstandenen „Max-Planck-Forschungsstelle für Eiweiß und Leder“ in Regensburg unter der Leitung von Professor Dr. Wolfgang Grassmann in relativ kurzer Zeit eine neue „Westdeutsche Gerberschule“ gegründet, die im Oktober 1950 den ersten Lehrgang eröffnete.

Da unter den gegebenen beengten Verhältnissen keine befriedigende dauerhafte Lösung möglich war, sah man sich bald nach einem neuen Standort für die „Westdeutsche Gerberschule“ um.

Nach vielen Gesprächen und Verhandlungen durch die Herren Herbert Ammer, Reutlingen und Dr. Merget, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Lederindustrie, als Vertreter der Lederwirtschaft, wurde schließlich 1953 dank des großzügigen Angebots der Stadt Reutlingen und des Landes Baden-Württemberg die Lösung in Reutlingen gefunden.

Die Stadt stellte ein geeignetes Gelände unentgeltlich zur Verfügung und übernahm die Planung des Neubaus, das Land übernahm 90 % der Baukosten. Die restlichen Kosten für Bau und Inneneinrichtung wurden vom Verband der Deutschen Lederindustrie getragen.

So konnte im November 1954 der Schulbetrieb an der „Westdeutschen Gerberschule Reutlingen“ begonnen werden. Und im Rahmen des Lederfabrikantentages vom 12. – 13. November 1954 – also exakt vor 50 Jahren – wurden die Einrichtungen des Instituts feierlich ihrer Bestimmung übergeben. Dem Institut standen damit in Reutlingen von Beginn an großzügig angelegte Räumlichkeiten und eine moderne technische Einrichtung in der Lehr- und Versuchsgerberei sowie im Labor-, Schul- und Verwaltungstrakt zur Verfügung.

Die Trägerschaft des Instituts wurde dem eigens gegründeten Betriebsverein der Westdeutschen Gerberschule Reutlingen e.V. übertragen, dem das Land Baden-Württemberg mit Vertretern des Kultus-, Finanz- und Wirtschaftsministeriums, die Stadt Reutlingen und die Verbände der Lederwirtschaft – an erster Stelle der Verband der Deutschen Lederindustrie – seit der Gründung angehören.

Von großer Bedeutung war über all die Jahre der große persönliche Einsatz des Vorstandsvorsitzenden – stets Vertreter des Verbandes der Deutschen Lederindustrie, die diese ehrenamtliche Tätigkeit langjährig ausübten:

  • Herrn Herbert Ammer, Reutlingen, 1954 – 1963 folgten in dieser Funktion die Herren
  • Herrmann Röhm, Schorndorf, 1965 – 1982 und
  • Fritz Schweizer, Murrhardt, 1982 – 2003

Im Jahre 2003 hat Herr Fritz Schweizer nach über 20-jähriger Tätigkeit in dieser Funktion den Staffelstab an Herrn Patrick Zerhusen, Großbottwar, weitergegeben. Die Kombination der 3 Aufgabenbereiche, die dem Institut von den Gründern zugewiesen wurden und die sich in den Abteilungen „Fachschule“, „Materialprüfung“ sowie „Forschung und Entwicklung“ – mit der Lehr- und Versuchsgerberei als einer zentralen Schnittstelle – widerspiegeln, hat sich über die 5 Jahrzehnte außerordentlich gut bewährt.

Durch die Verflechtung der verschiedenen Bereiche, die schon in der Abteilungsübergreifenden Tätigkeit vieler Mitarbeiter sichtbar wird, haben sich stets sehr hilfreiche gegenseitige Anregungen und auf einfache doch wirkungsvolle Weise die stets erforderliche Aktualisierung des Wissensstandes zur Weitergabe an die Fachschüler und anderen Lehrgangsteilnehmer ergeben.

Darin ist sicherlich ein maßgeblicher Teil des Erfolges der Gerberschule als weltweit anerkannter Ausbildungsstätte zu sehen.

Der Blick in die Schulstatistik zeigt,

  • dass in Reutlingen bislang 42 Techniker­lehrgänge erfolgreich abgeschlossen werden konnten,
  • wobei insgesamt über 1.500 Lehrgangsteilnehmer zur Ledertechniker-Ausbildung hierher kamen,
  • darunter mehr als ein Drittel an Teilnehmern aus anderen Nationen (insgesamt 72 verschiedene Länder von Ägypten, Äthiopien, Argentinien, Australien ….. bis Uganda, Ungarn, Uruquay, USA, Venezuela).

Entscheidenden Anteil am Erwerb der Akzeptanz als fortschrittlicher und praxisgerechter Fachschule sowie als Prüf- und Forschungs­institut hatten natürlich auch die hier tätigen Lehrkräfte und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den anderen Bereichen des Instituts.

Stellvertretend für viele, denen Dank für ihren diesbezüglichen besonderen Einsatz gebührt, seien an dieser Stelle namentlich genannt:

die langjährigen Institutsleiter

  • Professor Dr. Hans Herfeld, der schon als früherer Direktorstellvertreter (von Prof. Stather) an der „Deutschen Versuchsanstalt und Fachschule für Lederindustrie“ in Freiberg tätig war, und von 1957 – 1974 die wegweisende Aufbauarbeit leistete und den guten Ruf des Instituts und des „Reutlinger Ledertechnikers“ maßgeblich begründete;
  • Professor Dr. Wilhelm Pauckner, der (als ehemaliger „Grassmann-Schüler“) nach mehrjähriger Tätigkeit am Institut als Dozent und Wissenschaftler, die Stelle als Direktor von Prof. Herfeld übernahm und diese Funktion von 1974 – 1992 ebenfalls mit großem Erfolg ausübte. Unter seiner Leitung wurde 1977 der Blockunterricht für Auszubildende im Gerberberuf eingeführt, mit dem ein für die ganze Bundesrepublik obligatorischer Berufsschul­unterricht und eine einheitliche Lehrabschlussprüfung im Gerbereisektor erreicht wurden.
  • Prof. Pauckner gab die Institutsleitung an Dr.-Ing. Heinz-Peter Germann (als ehemaligen „Heidemann-Schüler“) weiter, der die Geschicke des LGR seit 1993, d.h. nun auch bereits seit mehr als 10 Jahren lenkt.

Für maßgebliche Aufbauarbeit im Bereich der Fach­schule und für den weltweit einmaligen Praxisbezug der Ausbildung auf dem Gebiet der praktischen Ledertechnologie seien stell­vertretend genannt:

  • Dr. Johannes Otto, früherer Leiter der Fachschule am Freiberger „Mutterinstitut“, der nach seiner Übersiedlung nach Reutlingen die Leitung der Schulabteilung von 1964 – 1980 (immerhin 16 Jahre) innehatte, und vor nunmehr 24 Jahren in dieser Aufgabe von Herrn Dipl.-Ing. Ernst Rein beerbt wurde.
  • Herrn Gerhard Moog, der 1974 mit den Erfahrungen eines Betriebsleiters aus der Lederindustrie die Leitung der Lehr- und Versuchsgerberei von Herrn Boddin (von 1954 – 1974 über 20 Jahre tätig!) übernahm und erstmals gleichzeitig die Funktion als Dozent für die (praktische!) Leder­technologie über 27 Jahre hinweg ausübte. Diese überaus erfolgreiche Verbindung von „Theorie“ und „Praxis“ wurde auch bei der Übergabe der Betriebsleiter-Funktion an Herrn Stefan Banaszak im Jahr 2001 beibehalten.
  • Für den Materialprüfbereich mit Gutachtenerstellungen und umfangreicher Mitwirkung in der Entwicklung von Prüf­methoden und Güterichtlinien verdienen schließlich die Herren Dr. Königfeld (von 1959 – 1971 als verantwortlicher Abteilungs­leiter tätig) und sein nicht minder erfolgreicher Nachfolger, Diplom-Chemiker Joachim Lange (Abteilungs­leiter von 1972 – 1997), besondere Erwähnung.

Mit der Einführung des Blockunterrichts und den anschließend zunächst sprunghaft ansteigenden Schülerzahlen in den Jahren 1980 – 1990 stieß man mit den Räumlichkeiten an die Grenzen der Kapazität, so dass ein Erweiterungsbau erforderlich wurde.

In einem großen Kraftakt gelang es – abermals Dank der großzügigen Unterstützung vor allem von Seiten des Landes Baden-Württemberg, aber auch durch die Stadt Reutlingen und die gesamte Lederwirtschaft – im Jahre 1986 mit der Inbetriebnahme des notwendigen Erweiterungsbaues, in dem wir uns zu dieser Feierstunde befinden, einen weiteren Schritt nach vorn zu tun.

Weitere wichtige Schritte zur Verbreiterung der Basis im Trägerverein des Instituts erfolgten innerhalb der letzten 15 Jahre durch die Aufnahme anderer europäischer Verbände der Lederindustrie (Schweiz, Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen) sowie besonders durch die Aufnahme des TEGEWA-Verbands der chemischen Hilfsmittelindustrie im Jahre 1995.

1997 wurde schließlich der inzwischen erfolgten Wiedervereinigung Rechnung getragen, sowie der Tatsache, dass sich die Reutlinger Einrichtung verstärkt als Institut im Bereich der Forschung und Entwicklung – auch auf europäischer und internationaler Ebene – etabliert hat, und die Umbenennung in Lederinstitut Gerberschule Reutlingen vollzogen.

Lederinstitut Gerberschule Reutlingen


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