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Bestimmung der Weiterreißfestigkeit und Weiterreißversuch

Die Bestimmung der Weiterreißfestigkeit ist bei der großen Gruppe der als Flächenleder zusammenzufassenden Lederarten zur wichtigsten Prüfung der Festigkeit geworden, so dass sie in ihrer Bedeutung noch vor der Zugfestigkeit eingeordnet wird.

Trotzdem zeigt sich bei dieser für die Gesamtbeurteilung des Leders wichtigen Bestimmungsmethode, dass, europäisch und weltweit gesehen, deutliche Unterschiede in der Methode, d. h. vor allen Dingen in der Auswahl der Probekörper, bestehen. Neben dem klassischen, als Schenkelweiterreiß- oder Streifenprobekörper bezeichneten, Prüfling mit einem Längseinschnitt ist in einigen Vorschriften gleichzeitig, oder aber in der IUP und ISO allein der Probekörper mit einem mittleren Ausschnitt vorgesehen.

Der Vorteil des Schenkelweiterreißprobekörpers liegt darin, dass eine eventuell nötige Deformationsenergie bereits beim Einspannen überwunden wird, so dass die angreifende Kraft sofort auf den Punkt des Einreißens konzentriert wird, während bei dem Prüfling mit dem mittleren Ausschnitt u.U., je nach Steifheit des zu prüfenden Materials, die Deformationsenergie mit in das Prüfergebnis eingeht. Der Vorteil dieses zuletzt genannten Probekörpers ist vor allen Dingen darin zu sehen, dass die Prüffläche sehr klein ist, so dass die Möglichkeit besteht, diesen Probekörper auch aus fertigen Gegenständen, z. B. Schuhen, ohne Schwierigkeiten auszustanzen.

Von entscheidender Bedeutung ist aber die Auswertung der erhaltenen Ergebnisse, da bei dem Probekörper mit einem mittleren Ausschnitt eine zweiseitige Weiterreißbeanspruchung erfolgt, so dass die erhaltenen Ergebnisse den doppelten Wert des Zungenweiterreißversuches erbringen. Um zwischen den beiden Methoden zu vergleichbaren Ergebnissen zu kommen, müssen die mit dem im weiteren als IUP-Probekörper bezeichneten Prüfling erhaltenen Ergebnisse (unabhängig von der Form des mittleren Ausschnittes) halbiert werden. Die jeweils angewandte Methode sollte mit dem Ergebnis im Prüfbericht angegeben werden.

Bestimmung der Weiterreißfestigkeit:

Dieses Verfahren, das auch als DIN 53329 beschrieben ist, legt zwei Bestimmungsmethoden fest, und zwar den Schenkelweiterreißversuch für alle Lederarten und die Weiterreißprüfung nach IUP 8 für flexible Leder (bevorzugt Schuhoberleder).

Nach diesen Vorschriften sind die folgenden Bestimmungen möglich:

  • Die Anreißkraft ist der nach dem Anlegen der Kraft erhaltene erste Spitzenwert beim beginnenden Weiterreißen des Probekörpers in der Verlängerung des Einschnittes.
  • Die Weiterreißkraft als Mittelwert der angewandten Kraft bis zum Zerreißen des Probekörpers nach dieser Vorschrift.
  • Die Weiterreißfestigkeit als Quotient aus der Weiterreißkraft und der Dicke des Probekörpers.

Die Probekörper sind aus dem klimatisierten Probestück mit ihrer Längsachse parallel zur Rückenlinie zu entnehmen. Ist die Entnahmestelle (z. B. bei verarbeitetem Leder) nicht bekannt, so sind die Proben aus zwei senkrecht zueinander stehenden Richtungen zu entnehmen. Es sind mindestens drei Probekörper zu prüfen. Die Dicke des Leders ist an mindestens drei Stellen jedes Probekörpers zu messen.

Geräte:

Es ist eine Zugprüfmaschine nach DIN 51200 T1 zu verwenden, die mit einem Schreibgerät zum Aufzeichnen des Kraft-Weg-Diagrammes ausgerüstet ist. Die Breite der Einspannklemmen muss 50 mm betragen. Für den Weiterreißversuch nach IUP 8 werden zwei Haltevorrichtungen benötigt. Jeder Halter besteht aus einem 10 mm breiten, am Ende rechtwinklig umgebogenen Streifen aus Stahlblech von 2 mm Dicke, an die eine Verstärkung zur Leiste angeschweißt ist. Die Halter sollen sich entweder zwischen die Backen der Zugfestigkeitsprüfmaschine einklemmen lassen oder diese ersetzen.

Schenkelweiterreißversuch:

Aus den Probestücken werden nach der Klimatisierung Probekörper entsprechend den Angaben in Abb. 32, links, entnommen. Die durch den Einschnitt entstandenen Schenkel des Probekörpers werden so In die obere und untere Klemme des Zugprüfgerätes eingespannt, dass die inneren Schnittkanten eine senkrechte Gerade bilden. Die Abzugsgeschwindigkeit betragt (100 ± 10) mm/min. Es wird ein Schreibgerät verwendet. Die Prüfung erfolgt bis zum Bruch des Probekörpers, wobei auch seitlich ausgerissene Probekörper mitbewertet werden.

Auswertung:

Die Anreißkraft ist der erste Spitzenwert des Diagrammes nach dem sichtbaren Einreißen der Probe.

Abb. 32 Probekörper zur Bestimmung der Weiterreißfestigkeit nach DIN 53329

Die Weiterreißkraft wird aus allen deutlich erkennbaren, mindestens aber aus zehn aufeinander folgenden Spitzenwerten des 2. und 3. Diagrammviertels als Mittelwert bestimmt. Die Anreißbereiche des 1. Diagrammviertels und die des Abrisses im 4. Diagrammviertel werden nicht mit zur Auswertung verwendet. Aus den Mittelwerten der einzelnen Probekörper wird der Gesamtmittelwert errechnet und im Prüfbericht angegeben.

Weiterreißversuch nach IUP 8:

Hierzu können ebenfalls zwei Probekörper mit den Abmessungen in Abb. 32 rechts eingesetzt werden. Man benutzt dazu Stanzeisen, die beim Ausstanzen der Probe den Schlitz gleichzeitig mit ausschneiden. Der Probekörper mit dem einfachen 20mm langen Schnitt wird nur für leichte Leder verwendet. Die Probekörper werden aus den klimatisierten Probestücken so ausgestanzt, dass die Längskanten parallel zur Rückenlinie angeordnet sind. Über die in die Zugprüfmaschine eingespannten Halter, die soweit wie möglich zusammengefahren sind, wird der Probekörper gestreift. Die gedachte Linie zwischen den beiden Enden des eingestanzten Schlitzes muss eine Waagerechte bilden. Es wird wie bei dem Zungenweiterreißversuch mit einer Abzugsgeschwindigkeit von (100 ± 10) mm/min. gearbeitet und das Kraftlängenänderungsdiagramm in gleicher Weise ausgewertet. Die für die Ermittlung der Anreißkraft und der Weiterreißkraft und -festigkeit aufgezeichneten Werte sind zu halbieren.

Der bei der Auswertung in der Norm angegebene Wert der Anreißkraft, der meist als erster Spitzenwert zu erkennen ist, deutet darauf hin, dass die Prüfung eigentlich kein Weiterreißen darstellt. Es wird vielmehr ein in bestimmter Weise angeschnittenes Leder durch das punktförmige Angreifen der Zugkraft gerissen. Diese erste Anreißkraft spielt aber für die Verarbeitung und auch besonders für den Gebrauch des Leders eine Rolle, da praktisch nach einem ersten Anreißen ein aus dem Leder hergestellter Gegenstand schon als zerstört angesehen werden kann, auch wenn es nicht zu einem vollständigen Durchreißen kommt.

Zur Auswertung können auch andere Verfahren als das in der DIN 53329 beschriebene herangezogen werden, so z. B. die Auswertung sämtlicher Spitzenwertc (Höchstwerte) aus dem von dem Schreibgerät aufgezeichneten Diagramm der Einzelprobe, wie in DIN 53859, Blatt 2 (Prüfung von Textilien) angegeben.

Obwohl die Weiterreißprüfung als die wichtigste Festigkeitsprüfung für Flächenleder angesehen wird, zeigen doch viele Arbeiten, dass die Zugfestigkeit und die Weiterreißfestigkeit nicht getrennt voneinander betrachtet werden sollten, sondern dass sie verschiedene, sich aber ergänzende Aussagen zulassen. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der Untersuchung einer Blöße, die im getrockneten Zustand nach der festen Verklebung der Fasern miteinander einen hohen Wert in der Zugfestigkeit, dagegen aber eine verhältnismäßig schlechte Weiterreißfestigkeit erbringt. Die feuchte Blöße zeigt dagegen durch die Isolierung der Einzelfasern bei zwar größerer Dehnung eine im Vergleich dazu schlechtere Zugfestigkeit, aber höhere Weiterreißfestigkeiten. Daraus ergibt sich,dass beide Festigkeitswerte von der Festigkeit der Faser direkt abhängen, dass eine leichte netzartige Verformbarkeit die Zug- und Weiterreißfestigkeit verbessert. Sehr eng miteinander verbundene Fasern begünstigen dagegen die Zugfestigkeit, während elastische und bewegliche Fasern mit guter Gleitfähigkeit eine höhere Reißfestigkeit ergeben. Man kann daher mit der Prüfung der Weiterreißfestigkeit z. B. die Wirkung des Hautaufschlusses im Äscher verfolgen und auch feststellen, wann es über den Aufschluss hinaus zu einem zu starken hydrolytischen Angriff auf die Hautfaser kommt. Die optimale Einstellung der Äscherdauer ist damit von den Festigkeitsprüfungen am besten durch den Weiterreißversuch zu überprüfen. Durch die Isolierung der Faser sinkt die Zugfestigkeit, aber die Weiterreißfestigkeit steigt an, was sich bei der Beize in gleichem Umfang zeigt. Wesentlich geringer (aber doch noch messbar) ist dieser Effekt im Pickel, dessen hautaufschließende Wirkung deutlich schwächer ist. Auch hier zeigt sich allein aus der Tendenzbeobachtung, dass bei weiterem Hautaufschluss die Zugfestigkeit absinkt, während die Weiterreißfestigkeit noch ansteigt. Die Veränderung der Faserbeweglichkeit bei der Gerbung spiegelt sich ebenfalls im Weiterreißverhalten wider. So besitzt ein Chromleder eine relativ bessere Weiterreißfestigkeit als ein mit Aldehyden oder pflanzlichen Gerbstoffen gegerbtes Leder, die mit ihren Einzelfasern im Gesamtverband nicht die Beweglichkeit besitzen wie bei Chromledern.

Versuche, mit anderen Probekörpern auch die Weiterreißfestigkeit von Leder zu bestimmen, wurden nach DIN 53363 (Prüfung von Kunststoff-Folien) an trapezförmigen Proben mit einem Einschnitt oder aber mit drei Einschnitten, senkrecht zur Längskante (Abb. 33), durchgeführt. Dieser von van Vlimmeren vorgeschlagene Probekörper geht bei weichen und vor allem zähen Lederarten durch die entstehende Dehnung in eine Form über, die der des Zugfestigkeitsprobekörpers ähnelt.

Eigene Versuche dazu haben gezeigt, dass z. B. bei einem Chromwaterproofleder die Weiterreißfestigkeitswerte dann gegenüber dem Zungenweiterreißprobekörper stark ansteigen.



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